Mit Tatkraft für die Nächstenliebe
Niemals still und unbemerkt: Mit Entschlossenheit und klarem Führungsanspruch wird Oberin Maria Müller Teil der erfolgreichen Entwicklung der Hoffbauer-Stiftung. Eine Persönlichkeit, der man nicht entkommt. Anfangs Hitlers „Frühling“ begrüßend, erleiden Schwesternschaft und Stiftung Diskriminierung, Enteignung, Verfolgung und Zerstörung.
Maria Müller
- 1868 geboren in Leipzig – 1946 gestorben auf Hermannswerder
- 1903 als Johanniterschwester im Dienst als Hausmutter
- 1919 Oberin
- März 1920 Einsegnung als Diakonisse
- 1924 Gründung des Spendenvereins „Schwesternhilfe e.V.“
- 1931 - 1933 Bauherrin des Feierabendhauses
- Juli 1937 Absetzung und Beurlaubung auf unbestimmte Zeit
- 1938 Rücktritt – offiziell aus Altersgründen
Während der schweren Nachkriegsjahre, als mit allen Kräften um den Wiederaufbau der Stiftung gerungen wird, steht sie in vorderster Reihe: „Im Kampf um die Erhaltung der Inselheimat ihrer Schwestern und Kinder ist sie, die Oberin und Inselmutter, allen voran“, so eine der ehemaligen Schülerinnen. Seit 1903 als Hausmutter tätig, ist sie bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt.
Sie ist klug, gebildet und tatkräftig. Schier grenzenlos scheint ihre hohe Einsatzbereitschaft: Ob in persönlicher Haftung für den Erhalt zweier Kinderhäuser oder als Initiatorin des Vereins „Schwesternhilfe“ für die Sammlung von Spendengeldern. Egal was kommt, die vom wirtschaftlichen Absturz gefährdete Stiftung muss vor der galoppierenden Inflation gerettet werden.
Existenziell bedroht sind 1920 vor allem Schule und Internat. Zum Handeln verpflichtet unterstützen die 50 Diakonissen den Weiterbetrieb durch Hilfsaktionen für die fälligen Pensionskosten der Kinder. Allen voran „Tante Maria“. Ausgestattet mit einem Sammelbuch für die Aktion ‚Kindesdank’ wird zum Spenden aufgerufen. Insgesamt kommt zwischen 1920 und 1923 der stolze Betrag von 38.000 Mark zusammen. 30.000 von ehemaligen Schülerinnen. Trotz inflationsbedingter Geldentwertung ist nun der Aufenthalt von 17 Kindern gesichert. Selbst für die kriegsbedingt eingeschmolzenen Glocken kommen 2.000 Mark zusammen. Was für eine Frauenpower!
Konfliktfrei läuft der Betrieb allerdings nicht. Die starke Natur der Oberin macht den Männern auf der Insel zu schaffen: Ob Krankenhaus, Internat, Gutshof, Gärten, Küchen oder Waschküche – ohne die fleißigen Schwestern und ihre Oberin geht nichts. Ihre Dienstleistung wird gerne in Anspruch genommen, ihre Entscheidungskompetenz aber in Frage gestellt. Das klassische Rollenverständnis führt immer wieder zum Eklat. Die willensstarke Oberin weiß dem entgegenzutreten und verweigert auch mal aus Protest die Teilnahme an den Arbeitstreffen.
Der Verein Schwesternhilfe e.V. sammelt nach den drastischen Inflationsjahren weiter. Eine Kollektenreise der Oberin geht 1925 sogar in die USA. In sieben Jahren Spendenakquise kommen 70.000 Reichsmark zusammen. Dank eines günstigen Kredits für die Restfinanzierung kann Maria Müllers Lieblingsprojekt starten: Der Bau des Feierabendhauses als Ruhesitz für die ausgediente Schwesternschaft. Eigentlich ist der Verein als eigenständige Rechtsperson Bauherrin, tatsächlich aber ist es die Oberin.
Nach zwei Jahren ist das im Stil des Neuen Bauens entworfene Flachdach-Haus 1933 bezugsfertig. Mit allen Schikanen der Moderne eingerichtet schafft es Maßstäbe: Elektroherd, eingekachelte Badewannen, fließend kaltes und warmes Wasser, Zentralheizung, Frisierraum. Sogar einen Staubsauger gibt es. Mit 270 Gästen wird die Einweihung das letzte unbeschwerte Fest vor der braunen Gleichschaltung.
Am 21. März 1933 nimmt Maria Müller mit einigen ihrer Diakonissen-Schwestern begeistert am Tag von Potsdam teil und bejubelt den „nationalen Frühling“. Trotz größter Bedenken und einigen vertraulichen Gesprächen im engsten Führungskreis der Stiftung lässt sich die politisch ahnungslose Oberin auf das unheilvolle Versprechen der wehenden Fahnen und markigen Parolen ein. Schlimmer noch, sie besucht 1936 den Berghof in den Berchtesgadener Alpen, um Adolf Hitler beim täglichen Defilee zu huldigen.
Doch mit dem Hermannswerder parteiseitig aufgenötigten Deutsche Christen-Pfarrer Kurt Halbach ist sie mit dem wahren Gesicht dieser Zeitenwende konfrontiert. Als skrupelloser Nationalsozialist nimmt er die Insel in seinen Würgegriff und attackiert die Mitarbeiter, die sich der oppositionellen Bekennenden Kirche zugehörig fühlen.
Viele der Inselbewohner hegen eine beachtliche Zurückhaltung gegenüber dem neuen System mit seinen immer drastischeren Methoden der ideologischen Indoktrinierung. Mit bösartigen Unterstellungen, Lügen und Denunziationen arbeitet sich Halbach besonders an der selbstbewussten Oberin ab. 1937 eskaliert der Konflikt und endet mit ihrem Zwangsurlaub. Halbach wird zwar versetzt, aber Maria Müller muss ihre Position aufgeben. Ein Schlag, von dem sie sich nie erholt.
Immer wieder sucht sie Gründe für längere Aufenthalte im Mutterhaus, oder wenigstens aus der Ferne Einfluss auf die Geschicke zu nehmen. Letztendlich findet sie kurz nach dem Krieg aber doch noch zurück auf die geliebte Insel Hermannswerder.