Die Insel einer großen Idee
Als klassische Vertreter des Berliner Unternehmertums im 19. Jahrhundert schaffen Clara und Hermann Hoffbauer ein enormes Vermögen. Als Stifterin mit christlichem Ethos schafft Clara einen einzigartigen sozialen Kosmos. Sie steht für Entschlossenheit und Weitsicht – eine außerordentliche Frau.
Clara Hoffbauer
- 1830 geboren in Berlin – gestorben 1909 in Potsdam
- 1850 Hochzeit
- 1856 Gründung der Teppichfabrik am Engelbecken in Berlin-Kreuzberg mit einer Unterstützungskasse für die Angestellten (1873)
- 1870 Umzug nach Potsdam ins Havelhaus
- 1876/1883 gemeinsame Testamente
- 1889 Kauf der Halbinsel Tornow (später Hermannswerder genannt)
- 1891 Erstes Waisenhaus fertiggestellt
- 1893 Eröffnung des Kranken- und Isolierhauses
- 1895 Eröffnung des Mutterhauses
- 1900 Insgesamt 20 Gebäude errichtet
- 1901 Offizielle kaiserliche Anerkennung und Eröffnung der Stiftung
- 1911 Fertigstellung der Inselkirche, Abschluss der ursprünglichen Bebauung der Insel
Sie, aus vermögender bürgerlicher Oberschicht, trifft ihn, den aus Halberstadt zugewanderten Aufsteiger im Hause der Tante. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Auf die Heirat folgt 1856 die Gründung einer Teppichfabrik, die im Verlauf der nächsten Jahrzehnte boomt. Mit der Blüte der Gründerzeit wird der Teppich als Auslegware der Renner. Auch der Reichstag zählt zu Hoffbauers Kunden.
Das junge Paar hegt ein ausgeprägtes christlich motiviertes Verantwortungsgefühl: Sie pflegt in der Tradition wilhelminischer Damen Verwundete in den deutschen Einigungskriegen und er engagiert sich im Vorstand der Mägdeherberge Marthashof.
Alles könnte so schön sein, doch leider stellt sich bei den glücklichen Eheleuten kein Nachwuchs ein. Ein herber Schicksalsschlag.
1870 bauen sie in der Nähe von Claras Schwester in Potsdam eine prächtige, direkt an der Havel gelegene Villa aus. Als gesellschaftliches Glanzlicht verkehren hier namhafte Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft wie der berühmte Chirurg Prof. Dr. Ernst von Bergmann, Brandenburgs wohl bekanntester Schriftsteller Theodor Fontane oder der hochdekorierte Erste-Weltkriegsgeneral August von Mackensen.
Handelsreisen führen die Hoffbauers bis in den Vorderen Orient. Während eines Aufenthalts in Alexandria erleben sie eine folgenreiche erste Begegnung mit der aufkommenden evangelischen Frauendiakonie: Plötzlich erkrankt, muss Hermann dort in einem von Kaiserswerther Diakonissen geführten Krankenhaus gepflegt werden. Dabei erfährt das Paar erstmals die große karitative Bedeutung der Mutterhausdiakonie. Ein Erfolgsmodell, das in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug um die ganze Welt antritt, und sicherlich auch Impulsgeber für ihr großes Vermächtnis wurde.
Gerade angesichts des angegriffenen Gesundheitszustands von Hermann gilt es nämlich, die rechte Bestimmung ihrer stetig wachsenden Hinterlassenschaft von etwa vier Millionen Mark zu finden. Bei einer damals ungleich höheren Kaufkraft entspricht das heute etwa 28 Millionen Mark.
Fest im evangelischen Glauben verankert und mit Bewusstsein der sozialen Härten ihrer Zeit, eröffnet sich den beiden im rheinischen Kaiserswerth nun eine vielversprechende Option: Hier, in der Keimzelle der deutschen Diakonie, leben unverheiratete Frauen in einer Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaft als Diakonissen und sind in der Krankenpflege und Erziehungsarbeit tätig. Eine enorm wichtige soziale Einrichtung damals, die das Ehepaar Hoffbauer durch ihr Erbe unterstützen möchte.
Mit Hermanns frühem Tod im Jahr 1884 findet allerdings ein erstaunlicher Paradigmenwechsel statt: Clara emanzipiert sich, nimmt ihr Schicksal und damit auch die Geschäfte in die eigene Hand. Nicht ganz einfach für eine Frau im Deutschen Reich der Kaiserzeit.
Auch die Erbschaft wird überdacht: Die gemeinsamen Ideale des Vermächtnisses sollen nun zu Ehren ihres geliebten Gatten zu Lebzeiten realisiert werden. Immer konkretere Form nimmt ihr Vorhaben an. Immer entschlossener verfolgt sie ihr Ziel. Mit eiserner Entschlossenheit, Schritt für Schritt gelingt die Realisierung:
1889 kauft Clara die Halbinsel Tornow und nennt sie Hermannswerder. In den nächsten zehn Jahren entsteht hier ein vollkommen autarker Kosmos für diakonische Bildungs- und Fürsorgeaufgaben: Neben sechs Waisenhäusern, Schule, Turnhalle, Diakonissenmutterhaus und Krankenhaus stellen ein eigener Gutshof, Land für den Ackerbau und ein Maschinenhaus mit Wasseraufbereitungsanlage die Versorgung sicher.
Was für eine Leistung! Begleitet von zahllosen Schwierigkeiten mit dem Kaiserswerther Dachverband, der sich um die Mitbestimmung an diesem großen Werk geprellt sieht. Doch die willensstarke Witwe weiß ihre Ziele bis zur kaiserlichen Intervention durchzusetzen: 1901 erfolgt die Anerkennung als milde Stiftung mit einem Vermögen und Grundbesitz im Wert von rund 10 Millionen Mark. Bis zu ihrem Tod 1909 baut sie weiter. Die Einweihung der Kirche als geistlichen Mittelpunkt der Insel kann sie aber nicht mehr miterleben.