Ausstellung

Helga Schluckebier

* 1937 in Chemnitz

Sie ist voller Überraschungen und Geschichten. Obwohl sie nur sehr wenig sieht, holt sie ein Fotoalbum heraus und gibt den Blick frei auf ein reiches Leben. Trauriges und Schönes hat sie erlebt und auch Dramatisches: ihrem kleinen Cousin hat sie im Krieg das Leben gerettet.

Audioaufnahme

Worüber haben Sie heute schon gelacht?
Über mich selber.  * lacht *  Weil ich jetzt die komischen Bonbons gegessen habe, die ich für die Kinder bereit gelegt hatte. Die haben aber nicht so geschmeckt.

Was brauchen Sie, um zufrieden zu sein?
Frieden. Das kann ich bloß sagen. Wenn man zufrieden ist, kommt auch der Frieden in allen Menschen.

Kindheit, Schule, Arbeitsleben: Woran erinnern Sie sich am liebsten?
Ich kann mich eigentlich an alles noch erinnern, aber das ist sehr viel.
Ich erzähle lieber von später, wo es nicht mehr ganz so schlimm war. - 1975 sind wir von Sachsen hier rauf gezogen und haben hier gearbeitet, in Neufahrland. Da waren wir in so einem Erntelager für Erntehelfer. Da kamen Menschen aus Bulgarien, Polen, Tschechien, der Sowjet-Union, aber auch Studenten von der Humboldt-Uni, Gehörlose, Schüler ...  Uns haben sie immer Mama und Papa gerufen. Das war wie eine Familie. Die sind jedes Jahr wieder gekommen, weil es ihnen bei uns so gefallen hat.
Ich habe Schneiderin gelernt und musste immer sitzen, das war nichts für mich. Bis 1995 haben wir dann als Erntehelfer gearbeitet.

Die Kindheit ist bei mir traurig, das erzähle ich gar nicht gerne. Ich war sieben Jahre alt und grade in die Schule gekommen, da ging das los mit der Bombardierung. Ich war damals eigentlich kaum in der Schule.
Mein Cousin war damals gerade geboren worden. Jedenfalls mussten wir dann in den Keller, und meine Mutti und meine Tante waren gerade bei meinem Opa. Der Angriff ging los und die kamen nicht. Dann hab‘ ich meinen Cousin auf einen Stuhl gesetzt, ihn angezogen, und ihn dann Stufe für Stufe in den Keller runter gezogen. Die Leute haben alle ihr Hab und Gut in Sicherheit gebracht und da hat mir keiner geholfen, das war schlimm.
Ich hab‘ ihn dann auf ein Bett gesetzt, damit er nicht umfällt. Der Angriff war dann schon vorbei, da kamen dann meine Mutter und meine Tante und haben nach meinem Cousin gefragt. Wir sind dann hoch, und die Wand, wo das Kinderbett stand, war über das Bett gefallen.
Es war eine Freude, dass ich ihn noch geholt hatte, aber es war trotzdem so traurig.

Haben Sie auch etwas Fröhliches erlebt in Ihrer Kindheit?
Wo wir dann auf dem Dorf waren, und der Krieg vorbei war, hab‘ ich schon Schönes erlebt. Ich habe viel mit Buben gespielt. Ich hatte keine Geschwister, weil mein Vati ja gefallen ist im Krieg. Ich habe viel gekreiselt, daran kann ich mich noch erinnern. Ich bin oft mit dem Fahrrad gefahren, und wir hatten Hasen. Mein Opa hat mir beigebracht, wie man mit einer Sense arbeitet.
Der Chef der Tankstelle, wo meine Mutti gearbeitet hat, hatte eine Katze, die hatte Junge gekriegt, das war auch was Schönes. Die Mutter haben sie dann irgendwann überfahren, und dann waren die Jungen ganz alleine. Und dann habe ich mit so einem kleinen Krug aus meinem Puppenhaus immer die Katzen getränkt.

Was prägte die Zeit Ihrer Jugend, und was prägt die Jugend heute nach Ihrer Ansicht?
Die Jugend hat heute mehr Freiheit.
Ich habe in der DDR auch schöne Zeiten erlebt, also, es war nicht schlecht. Wenn man alles so gemacht hat, wie die gesagt haben, hatte man auch keine Probleme. Aber das war wieder anders.
Wir haben viel Musik gemacht, ich habe Gitarre gelernt, da haben wir dann zum ersten Mai auch Kalinka getanzt. Das war fast wie Sport.
* Frau S. singt, Schüler tanzen *

Das war schön, dann sind wir durchs ganze Dorf getanzt. Unterwegs waren wir essen, da kann ich mich auch dran erinnern. Es gab Käsestullen, aber so stinkige, da waren dann immer ganz viele Fliegen. Aber wir hatten solchen Hunger, wir haben das trotzdem gegessen. * lacht *
Da hab‘ ich jetzt aber lange nicht mehr dran gedacht. - Also das war eine schöne Zeit, trotz DDR, aber das haben wir auf dem Dorf nicht so gespürt.

Was ist Ihre Botschaft an die Jugend?
Sie sollen immer gut lernen, wie ich das auch gemacht habe. Man muss sich auch mal mit den Menschen unterhalten können. Aber die meisten haben ja gar keine Zeit dazu.
Wir hatten letztens eine Leasingkraft da, zum Essen austeilen. Ich habe mich so über das Mädel gefreut. Die wusste in ganz kurzer Zeit, wie das lang geht. Die hat auch gemerkt, dass das Auge mit isst, und hat das so schön gemacht. Seitdem war sie aber nicht mehr da, das ist schade.

Was ist Ihnen heute in Ihrem Leben wichtig?
Wichtig ist, dass ich erst mal noch ein bisschen leben kann, dass ich mich anstrenge, dass ich nicht dement werde, das ist wichtig.
Ich bin hier seit fünf Jahren, und ich hatte hier eine Freundin. Die war sehr schlau, die hat studiert, und in einem Jahr ist die dement geworden. Das kann doch nicht sein!
Ich bin gläubig, und da muss ich jeden Tag meinem Gott danken, dass er mich so gut erhält.
Ich möchte auch gerne, dass Frieden auf der Welt ist. Aber so wie das jetzt ist, muss das noch lange dauern.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich dann wünschen?
Ich würde mir Frieden wünschen. Was sollte ich mir denn sonst jetzt noch wünschen?

Was ist Ihr Tipp für ein langes Leben, oder Ihr Lebensmotto?
* lacht * Das ist ja eine Frage. Das habe ich meine Mutti auch gefragt. Aber ich bin da ganz anders. Meine Mutti hat immer nur Pillen geschluckt, und ich habe das alles angelehnt. Ich kann mir die Schmerzen auch verbeißen.
Und nicht rauchen! Das möchte ich euch sagen.

Ich möchte später nie rauchen! Ich finde das nicht besonders toll.

Das haben meine Kinder früher auch gesagt. Und jetzt rauchen die alle.
Und kein Alkohol! Also wenn eine Feier ist, ok, aber nicht zu oft.

Wie alt sind Sie?
Ich werde dieses Jahr 80. Ich habe am 17. April Geburtstag.

Haben Sie denn noch eine Frage?
Wo wohnt ihr denn?

Ich wohne in Caputh!
Ich wohne in Potsdam West, an der Feuerbachstraße.

Nun langt mal zu, und nehmt euch Süßigkeiten. Damit ihr auch mal so alt werdet wie ich.

Letzte Woche war der Fotograf da, und dann haben die mich um 11.00 Uhr geschminkt! Und dann sollte der Fotograf um drei kommen. Ich hab‘ gesagt, so ein Blödsinn, wir müssen doch Mittag essen, da geht ja alles ab!
Und dann saß ich hier und hab‘ mein Mittag gegessen, und dann kam die Schwester rein und sagte „Du siehst ja aus wie ein Clown!“ Dann kam die andere rein und sagte „Komm, wir machen jetzt Natur“ und dann haben sie mich abgewaschen. Ich war so verstimmt an dem Tag! * lacht *

Auf dem Foto sind ich und mein Mann, da waren wir 17.

Da sahen Sie aber schön aus!

Ja, und jetzt sehe ich aus wie eine verschrumpelte Oma.