Was ist Schule? Steinbach meint ...

Trauen wir Kindern doch mehr zu, als nur uns zu reproduzieren! Tilo Steinbach plädiert für mehr Mut in der Pädagogik.

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Ein Meinungsbeitrag von Tilo Steinbach, Abteilungsleiter der Hoffbauer gGmbH 

Was ist Schule? Die Frage klingt simpel. Sie kann historisch, juristisch, kulturell oder pädagogisch beantwortet werden. Und keine Antwort wird Sie zufrieden stellen. Sie wird Sie tendenziell sogar langweilen – sorry, so viel Wahrheit muss sein. Hm, was dann? Naja, versuchen wir es mal anders:

Schule ist ein Ort und eine Zeit, wo sich Menschen begegnen. 
Sie tun dies leider selten aus eigener Motivation. Sie kommen, weil die Eltern arbeiten gehen (müssen). Und als Vorbereitung auf diese produktive Zukunft verstehen wir Schule. Das an sich ist schon fraglich. Aber wie sieht denn diese Zukunft aus, auf die wir die Menschen vorbereiten? Wir kennen sie nicht. Also tun wir so, als wäre sie das Jetzt und bereiten die Kinder und Jugendlichen darauf vor. Und es wird noch lustiger. Jeder Mensch abstrahiert seine eigene Sozialisation als Standard. Die der Lehrer*innen fand aber bereits vor einigen Jahr(zehnt)en statt. Wir bereiten die Menschen also auf eine Gesellschaft der Vergangenheit vor. Und wir nehmen das hin. Wir kennen es nicht anders. Warum sollten wir es dann anders tun?

Weil es den Menschen nicht gerecht wird. Weil positive Lösungen damit erschwert werden. Weil die Menschen die oft falschen Antworten finden werden. Weil sie es verdienen, ihre Zukunft aktiv mitzugestalten. Und weil unser evangelisches Fundament zeitlos ist. Es gibt uns unsere Haltung. 

Aber unsere Haltung wird nur sichtbar, wenn sie mit den richtigen Fragen konfrontiert wird.
Ist 2033 auch 1933? Ist Künstliche Intelligenz das Fließband in der Fabrik? Ist nachhaltige Ökonomie die afrikanische Dorfkultur? Diese Fragen sind nicht konkret, sie erfordern eine Haltung. Eine Haltung, die Konsequenzen sichtbar macht. Hier verbindet sich Wissenschaft mit Glauben. Dies muss in unseren Schulen geschehen – jeden Tag, für alle Menschen. Über jedem Eingang sollte ein Banner hängen: „In welcher Welt willst du morgen leben?“

2033 kann das Jahr sein, in dem wir Künstliche Intelligenz für nachhaltige Stadtökonomie einsetzen. Es kann das Jahr sein, in dem wir den Christopher Street Day lächerlich finden. Und zwar, weil die Botschaft längst Alltag und überholt ist. Es kann das Jahr sein, in dem wir Schule abschaffen. Okay, jetzt übertreibe ich …:-) 

Mit den klassischen Schulfächern kann dies nicht gelingen. Wir brauchen einen themen- und fragenorientierten Schulalltag. Die klassischen Kompetenzen sind dafür nur teilweise erforderlich. Sie können im Prozess erlernt werden. Hm, zu abstrakt, verstehen Sie mich? 

Ich versuche es mal kurz anders: Warum können wir schreiben? Weil wir Zeit und Raum überwinden müssen. Klingt nach Star Trek, ist aber simpler gemeint. Wie kommunizieren wir mit anderen Menschen, wenn diese nicht im aktuellen Raum und nicht in der Jetzt-Zeit sind? Wie kommuniziere ich in diesen zwei Momenten – mein Schreiben, Ihr Lesen – mit Ihnen? Wir brauchen ein Handwerkszeug der Informationsübermittlung – voilà, der Mensch erfand die Schriftsprache. Die Lösung für ein vergangenes Problem, kein aktuelles mehr. Aktuell können wir jederzeit Fotos, Ton- und Videodateien aufnehmen und in unendlicher Zahl und Größe verfügbar machen. Damit überwinden wir ohne die Schrift Zeit und Raum. 

Und trotzdem beinhaltet das Fach Deutsch in der Schule in großen Teilen den Erwerb der Basiskompetenz Schreiben. Ist das richtig? Ich weiß es nicht. Das ist auch gut so. Mir geht es auch nicht um eine Antwort, sondern um die Frage. Stellen wir sie doch den Schüler*innen in der Schule. Das habe ich in den letzten zwei Jahren von einer Kollegin gelernt. Also fragen wir doch die Kinder, was sie denken, wie die Welt in zwanzig Jahren aussieht – ihre Welt, die sie dann im größeren Umfang mitverantworten. Und für eine Antwort brauchen sie eine Haltung.

Die Haltung bieten wir 
Das ist das Ziel. Unsere Schulen geben Fragen und Haltung. Vielleicht käme das dann einfach dazu – zu Zeit und Ort als Schule. Wir brauchen also Menschen mit Fragen und Haltung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. 

Ist das jetzt schon so? Naja, es ist ein steter Weg oder neudeutsch ein steter Prozess. Der erfordert seinerseits wieder Haltung, weil er sich von der (unbewussten) Mehrheitsmeinung distanziert, dass Schule lediglich das Jetzt reproduziert. Und damit in regelmäßigen Abständen die sehr falschen Antworten findet.

Trauen wir unseren Kindern doch mehr zu, als nur uns zu reproduzieren! Trauen wir ihnen zu, sich mit uns den Fragen der Zukunft zu stellen und eine Haltung zu entwickeln. Auf diesem Weg lernen sie die Kompetenzen, die sie in Zukunft brauchen – kritisches Denken, Kommunikation, Zusammenarbeit, Kreativität ... und dann wird Bildung und Erziehung zu einer gemeinsamen Aufgabe.

Sie haben eine andere Meinung? Oder noch weitere Ideen für die Schule von morgen? Dann schreiben Sie an